Motion Bruss-Diepoldsau / Dudli-Oberbüren (19 Mitunterzeichnende):
«Steuergesetzanpassung – Streichung des Selbstbehalts für Krankheits- und
Unfallkosten
Krankheits- und unfallbedingte Kosten, die von keiner Versicherung gedeckt sind, können vom
steuerbaren Einkommen abgezogen werden, soweit sie 2 Prozent des Nettoeinkommens übersteigen. Ungedeckte behinderungsbedingte Kosten können gar vollumfänglich bei der Bemessung des steuerbaren Einkommens abgezogen werden.
Auf behinderungsbedingte Aufwendungen kann niemand spezifischen Einfluss nehmen. Insofern
ist auch richtig, dass hiervon betroffene Bürger nicht zusätzlich steuerlich belastet werden. Gleiches gilt im Fall von Krankheit und Unfall; steuertechnisch herrscht bislang jedoch eine differenzierte Handhabung.
Jeder Steuerzahler leistet seinen Beitrag an unser Gesundheitswesen und finanziert den Bürgern, die keine Steuern bezahlen, das vollumfängliche Gesundheitsprogramm. Darum sollten wir
unbedingt ein bisschen mehr Wertschätzung und Gerechtigkeit gegenüber unseren Steuerzahlern an den Tag legen.
Die Regierung wird daher eingeladen, einen Entwurf vorzulegen, der die Steuerpraxis dahingehend anpasst, dass Krankheits- und Unfallkosten keinem Selbstbehalt mehr unterliegen und somit von der Einkommenssteuer voll abzugsfähig sind.»
17. Februar 2020 Bruss-Diepoldsau
Dudli-Oberbüren
Böhi-Wil, Büchler-Buchs, Bühler-Schmerikon, Chandiramani-Rapperswil-Jona, Egli-Wil, FreundEichberg, Fürer-Rapperswil-Jona, Gartmann-Mels, Gerig-Wildhaus-Alt St.Johann, Götte-Tübach,
Kuster-Diepoldsau, Rossi-Sevelen, Rüegg-Eschenbach, Schmid-Grabs, Sennhauser-Wil, Steiner-Kaltbrunn, Wasserfallen-Rorschacherberg, Willi-Altstätten, Zahner-Schänis
ANTWORT DER REGIERUNG
FD / Motion Bruss-Diepoldsau / Dudli-Oberbüren (19 Mitunterzeichnende) vom 17. Februar 2020
Steuergesetzanpassung – Streichung des Selbstbehalts für
Krankheits- und Unfallkosten
Antrag der Regierung vom 24. März 2020
Nichteintreten.
Begründung:
Die Motionärin und der Motionär verlangen eine Änderung des Steuergesetzes (sGS 811.1;
abgekürzt StG). Sie wollen beim Abzug für Krankheits- und Unfallkosten den Selbstbehalt von
2 Prozent aufheben und damit die Abzugsfähigkeit der gesamten, von einer steuerpflichtigen
Person selbst getragenen Kosten vorsehen. Dabei nehmen sie Bezug auf die behinderungsbedingten Kosten, die vollumfänglich, also ohne Kürzung durch einen Selbstbehalt, abzugsfähig
seien.
Nach Art. 46 Bst. a StG sind die Krankheits- und Unfallkosten des Steuerpflichtigen und der von
ihm unterhaltenen Personen abzugsfähig, soweit er sie selbst trägt und diese 2 Prozent der Nettoeinkünfte übersteigen. Im Unterschied dazu sieht Art. 46 Bst. abis StG vor, dass die behinderungsbedingten Kosten des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Personen mit Behinderungen im Sinn des Bundesgesetzes über die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen (SR 151.3) abzugsfähig sind, soweit der Steuerpflichtige die Kosten
selber trägt. Es trifft somit zu, dass nur bei den Krankheits- und Unfallkosten ein Selbstbehalt gesetzlich vorgesehen ist, während bei den behinderungsbedingten Kosten kein solcher gilt.
Dass nur bei den Krankheits- und Unfallkosten ein Selbstbehalt besteht, ist Ausfluss des Harmonisierungsrechts: Nach Art. 9 Abs. 2 Bst. h des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (SR 642.14; abgekürzt StHG) sind die Krankheitsund Unfallkosten des Steuerpflichtigen und der von ihm unterhaltenen Personen abzugsfähig, soweit der Steuerpflichtige die Kosten selber trägt und diese einen vom kantonalen Recht bestimmten Selbstbehalt übersteigen. In Art. 9 Abs. 2 Bst. hbis StHG ist für die behinderungsbedingten
Kosten demgegenüber kein Selbstbehalt vorgesehen. Mit anderen Worten sind die Kantone harmonisierungsrechtlich und damit aufgrund des übergeordneten Rechts gehalten, einen Selbstbehalt bei den Krankheits- und Unfallkosten vorzusehen. Nur in Bezug auf dessen Höhe besteht
kantonaler Freiraum. Beim Abzug für Krankheits- und Unfallkosten gar keinen Selbstbehalt im
kantonalen Steuergesetz vorzusehen, wäre aber auf jeden Fall unzulässig.
Die harmonisierungsrechtliche Vorgabe, dass Krankheits- und Unfallkosten nur nach Abzug eines
Selbstbehalts steuerlich geltend gemacht werden können, findet ihre Rechtfertigung darin, dass
sie keinen Gewinnungskostencharakter haben, sondern Lebenshaltungskosten darstellen. Aus
sozialpolitischen Gründen wird unter dem Titel eines allgemeinen Abzugs dennoch ein Abzug zugelassen, jedoch nur, soweit die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit spürbar tangiert ist.
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Gegen eine Absenkung des Selbstbehalts spricht, dass der Kanton St.Gallen bereits heute im
schweizweiten Vergleich einen sehr tiefen Selbstbehalt kennt. Bei der direkten Bundessteuer beläuft sich dieser Selbstbehalt auf 5 Prozent (Art. 33 Abs. 1 Bst. h des Bundesgesetzes über die
direkte Bundessteuer [SR 642.11]); 21 Kantone kennen die gleiche Regelung wie der Bund. Nur
zwei Kantone sehen in ihren Steuergesetzen einen tieferen Selbstbehalt als der Kanton St.Gallen
vor.
Weiter würde eine Absenkung des Selbstbehalts bei den Krankheits- und Unfallkosten den Prüfaufwand für das Kantonale Steueramt massiv erhöhen. Aus einer bei der Fachstelle für Statistik
in Auftrag gegebenen Auswertung, die auf Daten der Steuerperiode 2017 beruht, ergibt sich,
dass in 129’002 Veranlagungen keine Krankheits- und Unfallkosten geprüft werden mussten, weil
die Steuerpflichtigen keine solchen deklarierten. Der Grund dafür wird in den allermeisten Fällen
nicht darin liegen, dass während des gesamten Jahres keinerlei Krankheits- und Unfallkosten anfielen, sondern diese tiefer waren als der Selbstbehalt und die Steuerpflichtigen deshalb darauf
verzichteten, die angefallenen Kosten zu deklarieren. Beim Wegfall des Selbstbehalts wären
diese ebenfalls abzugsfähig; es ist davon auszugehen, dass die entsprechenden Kosten dann
auch deklariert würden. Die deklarierten Krankheits- und Unfallkosten werden im Regelfall geprüft, weil darin nicht selten Kosten enthalten sind, die steuerlich nicht abzugsfähig sind (z.B.
Fitness-Abo, Selbstmedikation, nicht ärztlich verordnete Therapien und Behandlungen).
Die finanziellen Auswirkungen der beantragten Steuergesetzänderung lassen sich nicht exakt bestimmen, da es wie gesagt viele Steuerpflichtige gibt, die ihre Krankheits- und Unfallkosten nicht
deklarieren, weil für sie von vornherein erkennbar ist, dass ihnen wegen des Selbstbehalts kein
Abzug zusteht. Werden nur die Krankheits- und Unfallkosten derjenigen Personen berücksichtigt,
die solche Kosten für das Jahr 2017 deklarierten, hätte der Wegfall des Selbstbehalts von 2 Prozent Steuerausfälle in Höhe von 15,5 Mio. Franken einfache Steuer zur Folge. Für den Kanton
beliefen sich die Mindereinnahmen auf knapp 18 Mio. Franken und für die politischen Gemeinden
auf über 18 Mio. Franken. Die tatsächlichen Mindereinnahmen wären aber wesentlich höher. Aus
Sicht der Regierung ist darum klar, dass ein Absenken nicht nur aus steuerpolitischen Gründen
verfehlt ist, sondern auch aus finanzpolitischen Gründen. Der Aufgaben- und Finanzplan 2021–
2023 (33.20.04) zeigt deutliche Defizite. Auch wenn für die Rechnungsjahre 2020 und 2021 mit
höheren Ausschüttungen der Schweizerischen Nationalbank zu rechnen ist, haben sich die wirtschaftlichen Unsicherheiten (u.a. aufgrund der Corona-Krise) deutlich verstärkt. Ausserdem hat
der Kantonsrat die Regierung beauftragt, für das Budget 2021 eine Steuerfusssenkung von
5 Prozent vorzusehen. Diese wird das Ergebnis zusätzlich um 70 Mio. Franken verschlechtern.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Aufhebung des Selbstbehalts bei den Krankheitsund Unfallkosten gegen das übergeordnete Recht verstösst. Die Regierung lehnt aber auch eine
Absenkung des Selbstbehalts ab. Dies hätte erhebliche Mindereinnahmen sowie einen wesentlich höheren Vollzugsaufwand für das Kantonale Steueramt zur Folge. Zudem ist der Kanton
St.Gallen mit dem geltenden Selbstbehalt von 2 Prozent im schweizweiten Vergleich schon
äusserst gut positionier
Diepoldsau Die SVP-Kantonsrätin Carmen Bruss aus Diepoldsau hat zusammen mit SVP-Kantonsrat Bruno Dudli bei der Regierung eine Motion eingereicht, die eine Streichung des Selbstbehalts für Krankheits- und Unfallkosten fordert. Sie erklären in der Motion: «Krankheits- und unfallbedingte Kosten, die von keiner Versicherung gedeckt sind, können vom steuerbaren Einkommen abgezogen werden, soweit sie zwei Prozent des Nettoeinkommens übersteigen. Ungedeckte behinderungsbedingte Kosten können gar vollumfänglich bei der Bemessung des steuerbaren Einkommens