Patrioten Schweiz sind gegen den EU Rahmenvertrag
«Voraussetzung» für Marktzugang
In der neusten Version der alle zwei Jahre verfassten Standortbestimmung zum Verhältnis zu Bern betonen die EU-Staaten, sie hätten bereits ab 2008 immer wieder darauf hingewiesen, dass der bilaterale Weg ohne Rahmenvertrag mit dynamischer Rechtsübernahme und Streitschlichtung an seine Grenzen gestossen sei. Nun hätten die Berner und Brüsseler Unterhändler Ende 2018 «faire und ausgewogene Lösungen» gefunden. Entsprechend «bedauern» die EU-Staaten «sehr», dass sich der Bundesrat im Dezember nicht hinter das Verhandlungsergebnis gestellt habe, und sie rufen ihn dazu auf, den Vertragsentwurf nach Abschluss der Konsultation mit positiver Empfehlung an das Parlament zu überweisen.
In ihren Schlussfolgerungen bezeichnen die EU-Staaten das Rahmenabkommen als «Voraussetzung» für künftige Marktzugangsabkommen. Gleichzeitig bezeichnen sie es als «wichtigen Aspekt bei der Entscheidung über weitere Fortschritte auf dem Weg zu einem für beide Seiten vorteilhaften Marktzugang». Diese umständliche Formulierung, über die laut Diplomaten mehrerer EU-Länder intern gerungen worden ist, soll einerseits verhindern, dass die Schlussfolgerungen während des Schweizer Konsultationsprozesses als Drohung oder Erpressungsversuch aufgefasst werden. Andererseits signalisiert der Rat der EU-Staaten aber, dass die Schweiz ohne Ja zum Rahmenvertrag Mitte Jahr nicht mit einer und kaum mit der Aufdatierung bestehender Marktabkommen rechnen kann. Im Januar hatte der Generalsekretär der EU-Kommission in einer internen Weisungen angeordnet, dass vorderhand nur noch positive Entscheide zum Marktzugang der Schweiz zu fällen seien, wo eine rechtliche Pflicht bestehe und wo dies im «übergeordneten Interesse» der EU sei.
Keine Vorteile und laut Blick vom 10.05.21 seien 2/3 dafür
Keine Nachverhandlungen!
Die Schlussfolgerungen machen deutlich, dass die EU den Abschluss des institutionellen Abkommens «auf Grundlage des vorliegenden Texts» verlangt. Diplomaten mehrerer EU-Länder schliessen auf Anfrage Nachverhandlungen aus. Vereinzelt ist zu hören, dass gewisse Präzisierungen zum ausgehandelten Vertragstext denkbar wären. Einig sind sich die befragten Diplomaten aber in der Einschätzung, dass dies keine substanziellen Änderungen am Verhandlungsergebnis (wie die Ausklammerung der Unionsbürgerrichtlinie oder eine Schwächung der Rolle des Europäischen Gerichtshofs) erlauben würde.
Auch mit Blick auf die flankierenden Massnahmen ist keine Verhandlungsbereitschaft zu erkennen. Vielmehr bezeichnet ein Diplomat eines der Schweiz wohlgesinnten Landes das Verhandlungsergebnis zum Lohnschutz als «grosszügiges Angebot» der EU. In den Schlussfolgerungen wird die Schweiz (wie schon in vergangenen Jahren) explizit dazu aufgefordert, die flankierenden Massnahmen anzupassen oder ganz aufzuheben.
Unmut wegen Kohäsionsmilliarde
Die Schlussfolgerungen widerspiegeln das Spektrum der bilateralen Beziehungen in ihrer ganzen Breite. Erwähnt werden die enge wirtschaftliche Verflechtung und die gemeinsamen Werte. Begrüsst werden die Einführung des automatischen Informationsaustausches per Anfang 2017 sowie die im letzten September verabschiedete Unternehmenssteuerreform, die nun im Mai als Teil der AHV-Steuer-Vorlage zur Abstimmung kommt und die der Rat rasch in Kraft sehen möchte. Lob findet die Zusammenarbeit bei Sicherheitsmissionen, beim Klimaschutz oder in der EU-Migrationspolitik, an der sich die Schweiz als assoziiertes Schengen- und Dublin-Mitglied beteiligt. Für Aufsehen in der Brüsseler Blase hatte letzte Woche ein Manöver Ungarns gesorgt, das die Schlussfolgerungen zunächst zu blockieren drohte – was aber nichts mit der Schweiz, sondern nur mit der ungarischen Blockadehaltung in der Migrationspolitik zu tun hatte.
Laut Diplomaten wäre in den Verhandlungen der letzten Wochen und Monate kein Land mit der Forderung nach einem sanfteren Kurs gegenüber der Schweiz aus der Reihe getanzt. Grossbritannien, das nach dem Brexit ebenfalls zum Drittstaat wird, betrachtet die Entwicklungen zwar mit einiger Sorge, verhält sich aber neutral. Mit zunehmendem Unmut blicken derweil die mittel- und die osteuropäischen EU-Staaten auf das zögerliche Vorgehen der Schweiz in Bezug auf die Kohäsionsmilliarde. Der Rat erwarte die «rasche und bedingungslose Annahme dieses Vorschlags durch die Schweizer Bundesversammlung», heisst es nun im Bericht. Damit stellen die EU-Staaten klar, dass sie die von Parlamentariern in der Schweiz geforderte politische Verknüpfung der Kohäsionsgelder mit der Gewährung der Börsenäquivalenz nicht goutieren würden. Aus Sicht der EU gilt dieser Finanzbeitrag als Eintrittsticket für den bereits bestehenden Zugang zum EU-Binnenmarkt. Blockiert die Schweiz die Zahlung, dürften die osteuropäischen Staaten die EU-Kommission zu einer scharfen Reaktion drängen.